Ich schwieg. Erstmal musste ich mich einwenig beruhigen, damit ich meiner regelmäßigen Tätigkeit nachgehen kann und Gwen beruhigen konnte, denn diese war scheinbar noch wütender als ich - was auch verstänndlich war. Solche Menschen sollten einfach keine Kinder bekommen. Allein schon bei ihr konnte ich mir gut vorstellen, dass sie das Kind sogar schon mal im Auto vergessen hatte. Traurig und gefährlich.
Schweigend betrat ich die Bahn, die etwas stickig aber eine niedrigere Innentemperatur hatte als draußen auf den Straßen. Wollen wir einfach nur hoffen, dass sie endlich weiß was eine gute Mutter ausmacht. Und damit war das Thema für mich erstmal abgeschlossen. Ich wollte den Tag genießen und mich nicht über eine Frau aufregen, die keine Ahnung von Erziehungsmaßnahmen hatten - ich hoffte nur wirklich, dass es dem Kind gut ging.
An einer Haltestelle, an der sonst kein einziger ausstieg und die sich sowieso am Rande der Stadt befand, stiegen wir aus. Wir müssen in den Wald rein erklärte ich und folgte dem Waldweg, der mich zu dem Ort brachte, an den ich alleine oder mit meinem Cousin gerne gegangen war.
Meine aufsteigende Nervosität konnte ich natürlich nicht ignorieren, verbergen jedoch umso besser, als ich so tat als wäre mir das alte Klavier unbekannt, welches am Rande des Waldweges stand und nur darauf wartete, dass jemand kam und ein paar Tasten drückte. Ich hatte gehofft, dass es immer noch da stand, obwohl es sicher schon acht Jahre waren, seit ich nicht mehr darauf gespielt hatte. Normalerweise standen in der Innenstadt hin und wieder ein paar Klaviere herum, die man als Passant nutzen durfte doch mein Cousin hatte mit seinem Vater ein altes Klavier wieder repariert und hatte es hier in den Wald gestellt, weil er genau wusste, dass ich gerne darauf spielte, wenn ich mal wieder meine Ruhe suchte.
Ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen, bevor ich abrupt nach links umschwenkte und mich auf dem Stuhl niederließ, der vor dem Klavier stand und auch schon etwas ramponiert aussah, wobei ich Gwen sanft mit mir zog und zur Seite rutschte, damit sie ebenfalls auf dem Stuhl Platz fand. Ich hatte ihr noch nie etwas auf dem Klavier vorgespielt und ehrlich gesagt war ich mir nicht sicher, ob sie überhaupt wusste, dass ich Klavier spielen konnte. Doch nachdem ich überprüft hatte, ob das Klavier noch geeignete Töne von sich gab, fing ich leise an zu spielen. Es war ein Stück aus meiner Jugend, ein Klavierstück mit dem ich unglaublich viel verband – ich hatte es gespielt wenn ich sauer war, traurig, enttäuscht oder glücklich. Es beruhigte mich und jedes Mal wenn ich kurz davor war meine Nerven zu verlieren, dachte ich an dieses unglaublich schöne Stück. Und heute wollte ich es mit Gwen teilen. Es war ein Klavierstück von Ludovico Einaudi und trug den Namen „Una Mattina“.
Ich warf während des Spieles der jungen Frau neben mir ab und zu einen kurzen Blick zu, ehe ich meine Konzentration jedoch wieder auf das Klavier vor mir lenkte, während mein Lächeln immer ehrlicher und breiter wurde. So etwas hatte ich vermisst. Hier hatte ich mich immer wieder zurück gezogen – auch wenn ich dafür immer wieder mit der Bahn alleine irgendwohin fahren musste ohne dass es mein Vater mitbekam. Dafür hatte ich – wenn es ihm aufgefallen war – natürlich oft eine ordentliche Strafe erhalten.
Ich ließ meine Finger für einen Moment auf der Tastatur liegen, ehe ich tief einatmete und langsam aufstand. Gwendolyn Ich konnte mich nicht daran erinnern, sie irgendwann jemals bei ihrem vollen Namen genannt zu haben. Ich hatte noch nie das Bedürfnis, jemandem zu zeigen wie wichtig er mir ist. Ich hatte noch nie das Bedüfnis, solche Worte an jemanden zu richten. Wir sind Menschen und machen Fehler. Aber ich würde es niemals als Fehler bezeichnen, dass ich meine Gefühle zu dir zugelassen habe. Ich würde alles dafür tun, damit du mir ein warmes, ehrliches, zufriedenes und glückliches Lächeln schenkst.
Ich liebe dich dafür, dass du meine schweigsame Seite kommentarlos akzeptierst, dass du meine Vergangenheit akzeptierst, meine Herkunft, meine Familienverhältnisse. Ich liebe dich dafür dass ich dich jeden Tag aufs Neue kennenlernen kann, dafür dass du mir das Gefühl gibst der besonderste Mensch zu sein, der der bislang begegnet ist. Ich könnte unglaublich viele Gründe aufzählen dafür, dass ich jeden Tag nicht den Blick von dir nehmen kann. Aber der Hauptgrund ist einfach der: Ich liebe dich. Ich zögerte nicht - dafür brauchte ich absolut keine Zeit um noch einmal darüber nachzudenken. Und dieser Grund ist genug um dich zu fragen, ob du meine Frau werden willst In der Mitte dieses Satzes war ich vor ihr auf die Knie gegangen und hatte ein kleines Kästchen in Augenhöhe geöffnet, woraufhin ein schlichter aber schöner Ring zum Vorschein kam.