Kenneth sagte zwar nichts dazu, aber er schien sich wirklich darüber zu freuen, dass Justus ihm sagte er würde das Buch noch einmal lesen. Es war interessant, dass ein paar Worte einem Menschen schon ein gutes Gefühl geben konnte, selbst wenn es vielleicht nur leere Versprechungen waren. Wobei Justus jetzt beinahe ein schlechtes Gewissen bekam und sich wie ein Lügner fühlte, auch wenn das vielleicht lächerlich sein mochte. Vielleicht würde er das Buch wirklich noch einmal lesen..
Kenneths Reaktionen auf Justus Aussagen waren irgendwie sehr angenehm, was vielleicht komisch klingen mochte, wenn man bedachte, dass der Junge so ruhig war. Aber es war einfach schön mal keine seltsamen Blicke zu ernten oder gar irgendeinen dämlichen Kommentar, nur weil man so war, wie man eben war. Justus konnte natürlich nicht in Kenneths Kopf sehen, aber er schien ihn nicht zu verurteilen oder abzulehnen. Oder er war einfach gut darin das nicht zu zeigen. Das machte ihn auf eine gewisse Weise sympatisch. Als er dann auch noch mit einem weiteren Zitat des großartigen Meisterdetektives antwortete, hellte sich Justus Miene merklich auf. Es war ihm anzusehen, dass er sich ziemlich über ein einfaches Zitat freuen konnte. Nun hatte er erst recht das Gefühl einen interessanten Gesprächspartner gefunden zu haben. Es war wirklich schön mal zur Abwechslung mit jemanden zu reden, der auch zumindest ein bisschen die eigenen Interessen teilte, verstand und darauf einging, was man so von sich gab.
Während Justus noch stumm vor sich hin lächelte und in Gedanken vertieft war, blickte sich Kenneth in der Bibliothek um. Was dem Jungen wohl durch den Kopf ging, wenn er sich so umsah? Kurz war es ruhig, dann erklang Kenneths Stimme erneut. Justus hob den Kopf und beobachtete den Blonden, welcher den Blick zum Fenster gerichtet hatte. "Ja, außerordentlich angenehm", stimmte ihm Justus mit ebenso leiser Stimme und blickte nun auch zum Fenster. Justus mochte diese Stille ebenfalls. Zumindest meistens. Es war eine angenehme Atmosphäre. So ohne Lärm und Hektik. Besonders gut war das, wenn man einfach nur lesen, lernen oder nachdenken wollte. "Deshalb gefällt es mir hier um diese Zeit am besten", erzählte Justus und hielt seine Stimme immer noch bedeckt, wollte er eben jene Stimme ja nicht selbst zerstören. Er hatte oft das Gefühl, dass diese angenehme Stille besonders um die jetzige Tageszeit auftauchte. Er mochte diese Zeit, wenn es kurz davor war dunkel zu werden und alles in einer friedlichen Ruhe zu liegen schien. Der Himmel begann sich langsam zu verfärben und die Menschen wurden ruhiger, weil sie wussten, dass sie sich jetzt erstmal erholen konnten von ihrem anstrengenden Tag. Allerdings gab es auch Momente in denen Stille beängstigen sein konnte. Justus ging es nicht oft so, aber manchmal konnte selbst ihn die Stille verschlingen. Allerdings vermutete er, dass das wohl einfach im Wesen des Menschen lag und jeder solche Momente hatte in denen selbst Stille nicht mehr schön war.
Just wandte seinen Blick wieder vom Fenster ab und sah überrascht zu Kenneth als dieser ihm die Frage nach dem Unaussprechlichen stellte. Aus irgendeinem Grund musste Justus schlucken. Diese Frage hatte ihm noch nie jemand gestellt. Das war ja auch nicht gerade eine alltägliche Frage. Zum einen war sie interessant, zum anderen irgendwie recht ungewohnt und schwierig. Kenneth war wohl ein Mensch, der auch viel nachdachte und sich womöglich über Sachen Gedanken machte, welche andere Leute gar nicht interessieren würden. Tiefgründige Dinge. Zumindest begann Justus ihn so langsam so einzuschätzen. Allerdings kannte er ihn ja bisher kaum. Das machte Kenneth und diese Begegnung aber nur umso interessanter, aber auch schwieriger für Justus, denn eigentlich war er ein eher verschlossener Mensch, welcher seine Gedanken auch mal für sich behielt, wenn sie eine für ihn zu groß wirkende Bandbreite an Emotionen enthalten sollten. "Uhm.. naja.. interessante Frage", begann er deshalb ein wenig überfordert herumzudrucksen und überlegte was er darauf wohl antworten sollte. Erwartete Kenneth überhaupt eine Antwort? Justus grübelte. Was ist das Unaussprechliche für mich? Justus Augen huschten zu Boden. Es passierte selten, dass er so nach Worten suchen musste. Dafür begannen nun seine Gedanken zu rasen. Ich hasse Ungewissheit. Ich hasse Ungerechtigkeit. Ich vermisse meine Eltern. Ich habe Angst die paar Menschen, die ich noch habe, auch noch zu verlieren. Ich habe Angst mehr Menschen zu gewinnen, die mir wichtig sind, weil ich nicht noch mehr Angst davor haben will, sie zu verlieren. Das alles waren Sätze die Justus plötzlich durch den Kopf gingen, zwar selbst hier noch mit einer gewissen Sachlichkeit, so als wäre es eine einfach Aufzählung irgendwelcher trivialer Dinge, aber für seinen Geschmack mit viel zu viel emotionalem Anklang. Vermutlich hätte es noch so weiter gehen können, aber da Justus selbst über seine eigenen Gedanken erschrak, schaffte er es selbst das kleine Gedankenkarussel zu stoppen. Schnell schüttelte er den Kopf, so als könnte er damit all die Gedanken abschütteln. Nun, waren das jetzt überhaupt richtige Antworten auf das Unaussprechliche? Ja oder Nein, völlig egal, denn Justus würde diese Gedanken momentan sowieso unausgesprochen lassen. Er wusste das sie da waren, aber er sprach nicht darüber. Er redete ja nicht einmal über seine besten Freunde über seine Ängste, wie sollte er dann mit einem fremden Menschen darüber reden? Er war einfach nicht der Typ dazu, der gerne irgendwelchen persönlichen Fragen beantwortete und all zu sehr über Gefühle redete. Vielleicht beinhaltete das Unaussprechliche ja nicht einmal die Angst, sondern sogar etwas Positives. Dann hätte Justus weit gefehlt.
Er räusperte sich, hob den Kopf und sah Kenneth nun endlich wieder an. Er war viel zu lange still gewesen, also bemühte er sich schnell darum eine Antwort aus seinem Hirn hervor zu kramen. "Ich schätze, wenn ich dir das sagen würde, wäre es ja nicht mehr unaussprechlich, oder?", antwortete er etwas zaghaft und sah sein Gegenüber beinahe entschuldigend an. Das war eine jämmerliche Antwort. Aber zumindest zeigte diese Situation wie sehr dieser Satz überhaupt wahr war. "Ich schätze das Unaussprechliche ist wohl das, was man nicht in Worte fassen kann und nur mit sich selbst ausmacht. Ich könnte meine Gedanken nicht alle aussprechen, selbst wenn ich es wollen würde", fügte er hinzu. So langsam hatte er sich weider gut im Griff und seine Gedanken suchten jetzt nach allen möglichen logischen Erklärungen. "Möglicherweise impliziert das Unaussprechliche auch einfach unsere Gefühle. Oder aber irgendetwas, was wir selbst gar nicht wissen, gar nicht erfassen können mit unseren Gehirn. Das macht es dann zweifelsfrei unaussprechlich. Oder es ist doch etwas ganz anderes..", redete Justus dann weiter. Er war offensichtlich in seinem Element. Vermutlich hätte er noch eine Weile so weiter machen können, allerlei wilde Theorien aufstellen und hierüber nachdenken können, aber wirklich beantworten konnte er die Frage damit trotzdem nicht.
Nun doch etwas verlegen über diese ganze Situation gerade, kratzte Justus sich am Kopf. "Nun.. letztendlich muss ich mir wohl erst einmal darüber klar werden was das Unaussprechliche für mich bedeutet. Vielleicht kann ich dir die Frage dann beantworten. Es sind wohl wirklich die Gedanken, die ich einfach für mich behalten möchte. Jedenfalls ist es interessant den Satz mal auseinander zu pflücken", meinte er abschließend. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen ließ er seine Hand wieder sinken. "Was meinst du, was das Unaussprechliche sein könnte und was es explizit für dich ist?", gab er die Frage nun endlich zurück. Immerhin war er jetzt schon neugierig was Kenneth überhaupt selbst darüber dachte. Justus glaubte nicht, dass sein ruhiger Gesprächspartner ganz so tickte wie er selbst, aber gerade das machte seine Antwort wohl umso interessanter. Und da Kenneth dieses Thema begonnen hatte, musste er wohl damit gerechnet haben, dass auch ihn diese Frage treffen würde. Abwartend und mit aufmerksamen Blick sah Justus ihn an.