mit Yoshua
Es gab genug Themenfelder in diesem Universum, die mich interessierten und mit denen ich mich gerne beschäftigte. Was man üblicherweise in Erdkunde behandelt gehörte nicht dazu und das Thema "Dritte Welt" schon gar nicht. Es betraf mich nicht und so sollten diese armen Leute doch einfach verrotten. Gab ohnehin zu viele Menschen auf der Welt. Wenn ich mich so in meiner Klasse umsah und auf dieser Schule allgemein, gab es auch viele, viele Leute, die mir gestohlen bleiben konnten, die ich am liebsten gar nicht oder tot sehen würde, denen ich gerne selber eine Knarre an den Kopf halten und dann den Abzug drücken würde. Aber es gab auch viele Leute, die mir egal waren oder die ich bei einem Amoklauf zumindest nicht (zuerst) abknallen würde. Man darf mich nicht falsch verstehen, das war eben keine Drohung. Vermutlich hat jeder einen geheimen Drang, den er nicht mit der Welt teilen will. Vielleicht auch nicht und ich bin einfach nur verrückt, aber so bin ich und ich sehe es nicht sein, mich wie ein Patient behandeln zu lassen, mit Diagnostik und Therapie und Klapse. In meinem tiefsten Inneren weiß ich, glaube ich auch, dass etwas an mir nicht ganz sauber ist, die vernarbten Stellen an meinen Unterarmen und die teilweise auch noch frischen Wunden dort, verraten wohl genau das. Aber ich sehe es nicht ein. Tat ich nie und werde ich nie.
Mein Referat sollte ich mit Yoshua Goldammer vorbereiten. Ich kannte Yoshua nicht wirklich, aber wenigstens war er mir bisher nicht negativ aufgefallen. Er hatte rot gefärbte Haare, was schon irgendwie cool war. Ich mochte ihn deshalb nicht auf einmal, aber wirklich viel gegen ihn sagen konnte ich eben auch nicht. Während er alles Mögliche an Material für das Referat ausgebreitet und begonnen hatte, eine Mind-Map zu erstellen, zog ich ein Buch zu dem Thema hervor, dass ich in der Bibliothek gefunden hatte. Stumm und ohne eine Miene zu ziehen, ließ ich meinen Blick über die Seiten schweifen, hörte irgendwann, dass das markante Geräusch von Stift auf Papier sich einstellte. Langsam blickte ich auf und merkte, dass Yoshua mich anstarrte. Eigentlich war ich nicht die Art von Mensch, die so etwas merkwürdig fand, aber mich beschlich ein unangenehmes Gefühl, wie ein Déja-Vu. An meiner alten Schule hatten mich manche Leute angestarrt, andere hatten mich beleidigt oder wortwörtlich den Müll über mir ausgekippt. Und manche hatten einfach nur zugesehn und gelacht oder nicht, aber ich hatte sie allesamt aus tiefster Seele gehasst. Irgendwann fiel Yoshuas Blick auf den Boden, ganz plötzlich. "Das war nicht sehr unauffällig", sagte ich monoton. Vermutlich konnte man meiner Stimme nichts heraushören. Kein Spott, keine Anklage, kein Nichts. Kurz sah ich ihn nichtssagend an und blickte dann wieder auf die Seiten. "Wenn du jemanden anstarrst, merkt man das ziemlich schnell. Lieber viele kurze Blicke zuwerfen. Fällt nicht so auf", fügte ich dann leise hinzu, aber vermutlich konnte Yoshua mich trotzdem hören. War ja nur ein Ratschlag. Weshalb auch immer er mich so angestarrt hatte.